Wert und Bedeutung der Volkszählung 1918
Im Allgemeinen wurde lange die wissenschaftliche Meinung vertreten, dass präzise Volkszählungen in Albanien frühestens mit der Volkszählung 1945 begannen. Die erste von albanischen Behörden durchgeführte Volkszählung fand 1923 statt, von der viele Ergebnisse auf Makroebene publiziert sind. Die nächste Volkszählung fand dann im Jahr 1930 statt. Von dieser Volkszählung liegen noch die Originalunterlagen vor, allerdings nicht als kompakter Bestand. Die Angaben dieser Volkszählung sind jedenfalls wesentlich unpräziser als die einer anderen Volkszählung, die in der wissenschaftlichen Literatur völlig unterschätzt wird, nämlich die vom Grazer Franz Seiner im Jahr 1918 organisierte.
Im Jänner 1916 wurde ein Großteil Albaniens von österreichisch-ungarischen Truppen besetzt; ausgenommen blieben lediglich Randzonen im Süden des Landes.
Mit Stichtag 1. März 1918 wurde die Volkszählung durchgeführt, das gesamte Material nach Shkodra gebracht und im statistischen Landesamt sichergestellt, wo es "mit Hilfe einer größeren Zahl von intelligenten jungen Albanern bearbeitet" wurde. Bis Ende September wurden Überprüfungen, Ergänzungen und Nacherhebungen durchgeführt. Diese Bearbeitung musste abgebrochen werden, weil im Oktober der Truppenabzug begann. Dem Befehl, das gesamte Material zu vernichten, kam nur das Bezirkskommando in Lushnja nach, wodurch das Material für die Kreise Berat, Fier, Lushnja und Shkrapar fehlt. Es gelang unter großen Anstrengungen, das Material nach Wien zu schaffen; das Militärliquidierungsamt überließ das Material der Akademie der Wissenschaften zur Verwertung. Diese beauftragte den Leiter der Volkszählung, Franz Seiner, summarische Statistiken zu erstellen. Diese wurden 1922 – mit finanzieller Unterstützung durch die albanische Regierung – veröffentlicht. Im Auftrag der albanischen Regierung veröffentlichte Seiner auch gesondert die Volkszählung in den nordalbanischen Stammesgebieten. Auf der Grundlage seiner Volkszählung erstellte er auch eine erste Karte über die Verteilung, Größe und Grenzen der Stammesterritorien.
Man dachte zwar damals daran, auch Ergebnisse auf Orts- und Gemeindeergebnisse zu veröffentlichen, die Akademie konnte jedoch das Geld für die Druckkosten nicht aufbringen. Oberhummer schloss: "Wenn hier nicht Hilfe von außen eintritt, bleibt das sowohl für die Wissenschaft wie für jede Art geordneter Verwaltung in Albanien unentbehrliche Material brach liegen". Und so war es dann auch. Nach einer Zeit von rund 80 Jahren soll nun dieses Forschungsprojekt diese Volkszählung für die wissenschaftliche Forschung zugänglich machen. Seit nunmehr fast zwanzig Jahren wurde eine Fülle von neuen Erkenntnissen über die Gesellschaft, das Familienleben, das Migrationsverhalten, die Heiratsmuster und die Kinderzahl in Albanien zu Anfang des 20. Jahrhunderts gewonnen (siehe Bibliografie).
Mag. Dr.phil. Siegfried Gruber
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Institut für Geschichte
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